Topologien ’neuer‘ Wissensformen und Erkenntnisse von Weltaneignung. Zeitgenössische Kunst als Dokumente künstlerischer Forschungsstrategien:
Seit dem man die Frage stellen könnte ob, die Moderne aufgehört hat modern zu sein, die großen Narrative seit Lyotard ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, der Zugang zu Wissen aufgrund der technologischen Entwicklungen zu einer Entmächtigung der Wissenselite geführt hat, ist weltweit eine neue Art von Kunst zu machen zu beobachten.
Diese Art von Kunst machen, die ich adressiere, bringt keine Kunst hervor, die sich als rein formales Objekt, das durch beliebige Positionierung innerhalb einer europäisch-nordamerikanischen Kunstwelt, in dafür ausgewählten Kontexten verortet und dadurch positioniert und politisiert werden kann, ohne zu fragen, worin ihre immanente Bedeutung liegt, und was der Künstler oder die Künstlerin ihr für eine Bedeutung beimessen.
Das ‚Kunst machen‘ befindet sich in einem entscheidenden Transformationsprozess in Bezug auf ein Kunst und Werkverständnis, was seinen Ursprung in der zeitgenössischen künstlerischen Praxis hat.
Anstatt darüber zu forschen, was zeitgenössische Kunst aus verschiedenen Regionen der Welt ausmacht bzw. wer sie definiert, geht es hier vielmehr darum, anhand materieller Evidenzen die Komplexität dieser Kunst an gegenwärtigen Diskursen zu belegen. Die Relevanz dieser Forschung ergibt sich daraus, dass jede Diskussion über zeitgenössische Künstler_innen aus der ganzen Welt, die auf internationaler Ebene agieren – deren künstlerische Praxen unvermeidbare transzendente Referenzpunkte für gegenwärtige Diskurse über zeitgenössische Kunst darstellen – heute im Sinne einer adäquaten Rezeption, in diesen zu kontextualisieren sind.
Einer dieser gegenwärtigen Diskurse, der seit zwei Jahrzehnten die Diskussion bereichert ist jener über künstlerische Forschung, welcher unter dem Oberthema Kunst und Wissenschaft zu verorten ist. Diverse künstlerische Arbeitsweisen, Ausstellungen, Konferenzen und Publikationen zu diesem Thema, zeugen von dessen ’neu‘1 erscheinender Aktualität. Zum Beispiel die von Okwui Enwezor kuratierte Ausstellung Archive Fever: Uses of the Document in Contemporary Artim International Center of Photography in New York (2008) sowie die gleichnamige Publikation, oder der Sammelband Intellectual Birdhouse. Artistic Practice as Research (2012)2, hier in Berlin die Konferenz Forschung in Kunst und Wissenschaftim HKW (2012) mit dem Schwerpunktthema on research3 um nur drei Beispiele zu nennen.
Abgesehen von den Themen der Umstrukturierung seitens der Institutionen, hin zu einer theoretischen Ausrichtung künstlerischer Ausbildung im Zusammenhang mit einer sogenannten Wissenschaftsgesellschaft, in dessen Rahmen es eine kritische Betrachtung einer neuen Verwertbarkeit von Kunst als Wissen im Sinne einer Verwissenschaftlichung der Kunst, nach der Kritik einer Verwertbarkeit von Kunst als Ware geben muss, ist unübersehbar, dass eine stärkere Gewichtung auf künstlerische Forschung, selbst aus einer Strömung der Kunst entspringt. Das gegenwärtige, vielortige, mehrdimensionale unvorhersehbare, kategorieverschiebende, formverändernde, zeitgenössische Kunstschaffen auf der ganzen Welt kann nicht mehr einfach linearisiert werden.
Damit einhergehen eine Vielzahl neuer, oder in neuer Form differenzierter Arbeitsweisen. Künstler_innen integrieren in ihre künstlerische Praxis z.T. wissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahrensweisen, Kunstkritik, Kunstvermittlung, kuratorische Praxis, Recherchemethoden, wie Feldforschung, Exploration, Experiment, Intervention, Analyse, Reflexion, die Arbeit mit Expert_innen, autobiografischen oder biografischen Bezügen. Sodass durchaus behauptet werden kann, dass diese zeitgenössische Form von Kunst zu machen eine eigenständige Wissensform hervorbringt, der eine modifizierte, zeitgenössischen Ästhetik zugrunde liegt. Diese künstlerischen Praxen erproben unvorhersehbare Zugänge zur Wirklichkeit, Weltaneignung und Erkenntnisgewinns, die nicht verglichen werden können mit rein wissenschaftlichen Forschungsmethoden und den daraus hervorgehenden Erkenntnissen.
Dieses Forschungsprojekt zielt ab auf die Erschließung diverser Strategien künstlerischer Forschung in der zeitgenössischen Kunst aus verschiedenen Regionen der Welt.
Das Forschungsprojekt nimmt seinen Ausgang an konkreten künstlerischen Arbeiten, die unter dem heterogenen Begriff künstlerische Forschung versammelt werden können und gliedert sich in 1 – 4 Teilprojekte. Im Rahmen dieser Teilprojekte wird erforscht welche Strategien künstlerischer Forschung sich in a.) Fotografie|Film; b.) Installation |Objekt; c.) Malerei|Zeichnung; d.) Performance; ausmachen lassen.4 Diese Einteilung entspricht mit dem wissenschaftlichen Forschungsprozess und ist nicht als ästhetische Festschreibung des jeweiligen Kunstwerks zu verstehen, weil eine solche Kategorisierung aus rein ästhetischer Hinsicht in diesem Kontext nicht zielführend ist. Dennoch sind sie zugleich als Werkzeuge für eine differenzierte Analyse, Möglichkeiten und Strategien künstlerische Forschung differenziert und in unterschiedlichsten Ausformungen zu erfassen, hilfreich und werden deshalb herangezogen. Sie stehen somit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Forschungsprozess. So können z.B. Zeichnungen von Entwürfen für Installationen durchaus auch Dokumente künstlerischer Forschung sein, weshalb ihnen eine gesonderte Betrachtung gebührt, um Methoden künstlerischer Forschungsprozesse zu identifizieren und nachvollziehbar zu machen. Im Rahmen der Forschung können unter anderem, entsprechend der 1 – 4 Teilprojekte, künstlerische Arbeiten von z.B. folgenden Künstler_innen berücksichtigt werden.
Zu a.) Fotografie |Film: Santu Mofokeng, Sammy Baloji, Yto Barrada, Tracey Rose, Hala Elkoussy, Sue Williamson, Lorna Simpson, Loulou Cherinet
Zu b.) Installation |Objekt |Skulptur: Georges Adéagbo, Meschac Gaba,Zarina Bhimji, Bili Bijocka5
Zu c.) Malerei |Zeichnung: Khlaed Hafez, Moshekwa Langa6, Kemany Wa Lehulere
d.) Performance: Qudus Onikeku7, Tracey Rose u.a.
Endgültige Festlegungen nehme ich an dieser Stelle bezüglich der Künstler_innen und ihrer Arbeiten nicht vor, weil in der ersten Forschungsphase eine profunde Recherche gemacht wird, welche Künstler_innen aufgrund ihrer Arbeitspraxis in Bezug auf künstlerische Forschung besonders relevant, und somit für diese Forschung von besonderem Interesse sind.
Es wird eingangs geprüft, in wieweit sich die drei von Frayllinger8eingeführten Kategorien der Kunstforschung 1.) Forschung über Kunst, 2.) Forschung für Kunst, 3.) Forschung durch Kunst als hilfreich Werkzeuge der Analyse erweisen und gegebenenfalls in dieser oder in modifizierter bzw. erweiterter Form herangezogen werden können.
Bei allen Teilprojekten wird besonders Wert darauf gelegt,dass im Rahmen dieser Forschung Kunst nicht nur dann als eine Form von Wissen zu verstehen ist, wenn sie sich wissenschaftliche Verfahrensweisen und Standards bedient. Denn die der Forschung zugrundeliegende Annahme geht davon aus, dass Kunst forschend sein kann und neue Wissensformen generiert, ohne zu einer Verwissenschaftlichung der Kunst zu führen, die sich an einem rein wissenschaftlich begründetem Wahrheitsgehalt orientiert. Sondern vielmehr wie Foucault die Aufgabe der Kunst weniger darin sieht „das Unsichtbare sichtbar zu machen, sondern zu zeigen, wie unsichtbar die Unsichtbarkeit des Sichtbaren ist ( FOUCAULT 1974: 52 )9.
Die Forschung berücksichtigt u.a. mögliche Tendenzen des prozesshaften, unabgeschlossenen, archivarischen Charakters künstlerischer Arbeitsweisen. Darüber hinaus wird recherchiert, ob es besondere Bezüge zu kollaborativen, projektorientierten Arbeitsweisen gibt, die gegebenenfalls berücksichtigt werden.
Dieses Forschungsprojekt legt großen Wert darauf zu erfassen, wie sich die Künstler_innen persönlich zu diesem Thema äußern. Deshalb sollen nach Möglichkeit Gespräche, mit den Künstler_innen geführt werden10.
KEYWORDS ZUR METHODE: dokumentarisch, explorativ, subjektorientiert, induktiv, Gesprächs – orientiert
Research_ 2: WIE KANN GEGENWÄRTIG ÜBER ZEITGENÖSSISCHE KUNST GESCHRIEBEN WERDEN?
„Die Kunst bereichert die Realität wobei sie um dies zu tun Abstand zu dieser braucht um die Komplexität einer Wirklichkeit zu beschreiben“, so die Kuratorin der 11. Biennale de Lyon Victoria Northoorn.
Die zeitgenössische Kunstwelt befindet sich gegenwärtig in einem Zustand in dem die Art wie über Kunst geschrieben und somit auch auf diskursiver Ebene verhandelt wird z.T. immer formaler wird. Wie kann über Kunst geschrieben werden ohne ihr einen oder mehrere Diskurse aufzuzwingen und dennoch theoretisch fundiert bleiben? Wie können Texte über zeitgenössische Kunst geschrieben werden, die diese bereichert und gegebenenfalls erklärt ohne einen Diskurs in den Vorderfund zu stellen, der nicht im direkten Zusammenhang steht mit der jeweiligen künstlerischen Position?
Diese Frage ist auch insbesondere für zeitgenössische Kunst aus Afrika sowie der afrikanischen Diaspora sehr relevant, da sich Künstler_innen aus afrikanischen Staaten lange Zeit und zum Teil tun sie es noch immer – gegen europäisch-nordamerikanische Vorstellungen über das, was Afrikanische Kunst sei, durchsetzten mussten; obgleich weitläufig bekannt ist, dass jene Gegenstände – die z.B. von diversen Museen für Völkerkunde herkömmlich unter dem Begriff der ‚Afrikanischen Kunst‘ subsumiert werden – nicht in erste Linie in einem Kunstzusammenhang entstanden sind. Gleichwohl ist aus einer abendländischen Auffassung von Kunst heraus zum Teil die Wahrnehmung entstanden, als sei es hinsichtlich Afrikanischer Kunst, insbesondere in den vergangenen Jahrzehnten, durch die sogenannte Globalisierung der visuellen Kunst zu einem radikalen Wandel – die Ästhetik, die Formkriterien, respektive die verwendeten Techniken betreffend – gekommen.
Zu dem Thema Afrikanische Kunst ist seit dem 20. Jahrhundert eine umfangreiche Literatur entstanden. Insbesondere Autor_innen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird vorgeworfen, dass ihrer Rezeption der afrikanischen Kunst, der von ihnen angenommenen kollektiven Urheberschaft sowie ihrer Kategorisierung in diverse’Stammesstile’eine paternalistische, evolutionistische und kolonialistische Haltung gegenüber Afrika, seinen Menschen und somit auch ihren künstlerischen Praktiken zugrunde liegt.
In einer Gegenwart – über die behauptet wird, postkolonial, globalisiert und postmodern zu sein – sollte davon ausgegangen werden können, dass Afrikanische Kunst, da wo sich diese Begrifflichkeit noch durchgesetzt hat, oder von Künstler_innen selbst für die Beschreibung ihrer Kunst verwendet wird, vielmehr diverse Kunstformen sowohl performativer als auch bildnerischer Art bezeichnet, die von Künstler_innen in oder aus Afrika explizit als Kunst hergestellt wurden. Simon Njami, Kurator und Kunstkritiker, ist der Meinung, dass sich jeder und jede Künstler_in eine ganz individuelle Ausdrucksform schafft, unabhängig von seiner Verortung irgendwo auf der Welt oder der Entfernung dieses Bezugspunktes. Für ihn stellt das eigentliche Problem nicht der Geburtsort dar, sondern vielmehr die Rezeption einer Geschichte, in diesem Fall der afrikanischen Kunst, die für ihn lediglich eine Metapher bedeutet, eine’lyrische Illusion‘ (vgl. NJAMI, SIMON 1996: 10).
Angesichts dieser vorangegangenen Überlegungen ist eine Argumentation, die der Meinung ist, dass jede Diskussion über zeitgenössische Künstler_innen aus verschiedenen Regionen der Welt, die auf internationaler Ebene agieren, heute, im Sinne einer adäquaten Rezeption, in den gegenwärtigen Diskursen über die Globalisierung der visuellen Kunst positioniert werden sollten durchaus eine adäquate. Viele der gegenwärtigen Diskussionen über zeitgenössische visuelle Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora werden dabei auf wissenschaftlicher Ebene im Kontext der Postmoderne, Posthistorie und des Postkolonialismus verortet, und setzten sich thematisch mit der Wahrnehmung von Differenzen, und Identitätskonstruktionen auseinander. Selbstverständlich haben wir diesen Diskursenein zunehmendes Interesse an zeitgenössischer Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora innerhalb der Kunstwelt zu verdanken genauso wie die Tatsache, dass diese Kunst als Teil einer globalen zeitgenössischen künstlerischen Praxis – von einer Kunstwelt, die trotz eines immer noch bestehenden europäisch-noramerikanischen Hegemonialanspruchs gegenwärtig versucht dem Anspruch gerecht zu werden poskolonial, posthistorisch, deterritorialisiert transnational und global zu sein – anerkannt wird.
In einer Gegenwart in der die europäisch- noramerikanische Kunstwelt angesichts des Entstehens von Biennalen und einer zeitgenössischen Kunstgeschehens über all auf der Welt frappierend lokal erscheint, und angesichts der transnationalen Mobilität von Künstler_innen aus Afrika topologische Zuschreibungen in Anlehnung an einen Geburtsort eines Künstlers oder einer Künstler_in bereits irrational anmuten lassen – ist es wieder an der Zeit die Rezeption über zeitgenössische Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora und das Schreiben über diese zu überdenken. Es stellt sich wie Eingangs erwähnt erneut die Frage der Art und Weise wie über zeitgenössische Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora geschrieben werden kann.
Diese Arbeit versucht neue Wege einzuschlagen in der Produktion eines Textes über zeitgenössische Kunst aus Afrika und der afrikanischen Diaspora.
Indem ich über Gegenwartskünstler_innen in Afrika oder der afrikanischen Diaspora forsche und anhand des Schreibens und Vorstellens dieser selbst wie eine Künstler_in vorgehen möchte, versuche ich im Laufe der Forschung Wege für die Präsentation und des Schreibens über die ausgewählten Künstler_innen zu finden, ohne ihnen dabei einen Diskurs oder mehre Diskurse aufzuzwingen, die nicht im direkten Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Praxis stehen.
1Im antiken Griechenland wurde das Wissen in verschiedene „technae“ (Künste) eingeteilt. Im Mittelalter kam es zur Teilung in die sogenannten „handwerklichen/mechanischen Künste“ und die „freien Künste“ worunter ein Wissen zusammengefasst wurde, was heute den Naturwissenschaften zugeordnet wird (Logik, Arithmetik, Geometrie etc.). Erst mit der Etablierung neuzeitlicher Wissenschaften im 17. Jhdts fand eine Loslösung seitens der Wissenschaften von allem Sinnhaften statt, wobei die Kunst als Gegenprinzip Wirksamkeit gewann. Hinzu kam im 18. Jhd. die Ästhetik, durch welche die Kunst neue Wichtigkeit gewann.
Bezüge bildender Künstler auf wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich schon viel früher verzeichnen erinnert sei an die Optik, Anatomie, Geometrie etc. Aber auch im 20 Jhdt. finden sich eindeutige Bezüge surrealistischer Malerei auf die Psychoanalyse, der Minimal Art auf die Phänomenologie oder in der Konzeptkunst Erkenntnisse aus der Linguistik.
2eds. Florian Dumbois, Ute Meta Bauer, Claudia Mareis, Michael Schwab. Koenig Books London.
3In Kooperation mit der Freien Universität Berlin, dem Zentrum für Bewegungsforschung und der Schering, gefördert von der DFG.
4Dabei kann es durchaus sein, dass die Arbeiten von einem Künstler bzw. einer Künstlerin durchaus nicht nur einem Schwerpunkt zugeordnet werden.
5(persönliche Notiz) ‚Infinite writing Projekt‘
6(persönliche Notiz) ‚New Visual Atlas‘
7(persönliche Notiz) ‚My Exile is in my head‘, WiAiA WORDintoARTintoAFRICA
8FRAYLINGER, Christoph 1993: Research in Art and Design, Royal College of Art Research Papers series 1.1. London.
9FOUCAULT, Michel 1974. ‚Das Denken des Außen‘ in: ders. Von der Subversion des Wissens. München. Fischer Wissenschaft.
10Hierfür können für die Realisierung diverse Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden wie z.B. das Internet).
11http://www.artthrob.co.za/01mar/artbio.html
12Zeichnungen, Videoinstallationen Fotografien sowie konzeptuelle Arbeiten scheinen sich dabei einerseits am Lebensalltag (im Zusammenhang mit der Ästhetisierung des Alltäglichen), sozial und kulturpolitische Ereignisse, historische Rückblicke aber auch private biografische Momente zu dokumentieren. (Dokument als eine Beglaubigung bzw. Beweismittel für Wahrheit erkennt) → versuch so nah wie möglich an die Realität heranzukommen und die Absicht die Transparenz der Entstehung eines Werkes